Das Impfwesen in Österreich: Woran es krankt und was es braucht

Forderungen des Österreichischen Verbandes der Impfstoffhersteller an die neue Regierung

Wien, 4. Dezem­ber 2019. Bereits zu Beginn des Jah­res hat der Öster­rei­chi­sche Ver­band der Impf­stoff­her­stel­ler (ÖVIH) sei­nen Natio­na­len Akti­ons­plan zum The­ma Imp­fen vor­ge­stellt. The­ma­ti­siert wur­den dar­in unter ande­rem drän­gen­de The­men wie die Not­wen­dig­keit eines elek­tro­ni­schen Impf­pas­ses, die For­mu­lie­rung von ver­bind­li­chen Zie­len wie Durch­imp­fungs­ra­ten oder die bes­se­re Pla­nung des Impf­stoff­be­darfs. Mitt­ler­wei­le lie­gen auch öster­rei­chi­sche Daten zu eini­gen Impf­stoff­grup­pen vor, die ein­deu­tig bele­gen, wie sinn­voll Imp­fen für das Gesund­heits­sys­tem auch im öko­no­mi­schen Sinn ist. Im Vor­feld der neu­en Regie­rungs­bil­dung prä­zi­siert der ÖVIH nun sei­ne For­de­run­gen und ver­weist auf inter­na­tio­na­le Best Prac­ti­ce-Bei­spie­le zur Erhö­hung der Durch­imp­fungs­ra­ten, die auch für Öster­reich auf­schluss­reich sein könn­ten.

Kein ein­heit­lich gere­gel­tes öster­rei­chi­sches Impf­we­sen
Das öster­rei­chi­sche Impf­we­sen ist kom­plex und besteht aus Sicht des ÖVIH aus drei völ­lig unter­schied­li­chen Tei­len:

  1. Den Imp­fun­gen des kos­ten­frei­en Kin­der-Impf­kon­zepts
  2. Den Imp­fun­gen, die von den Öster­rei­che­rIn­nen selbst zu 100 % finan­ziert wer­den
  3. Den Imp­fun­gen, die von den Öster­rei­che­rIn­nen zwar selbst finan­ziert wer­den, für die es aber (Kas­sen-) Zuschüs­se gibt.

Die öffent­li­che Hand ist nur für das Kin­der­impf­kon­zept* zustän­dig, Schutz­imp­fun­gen sind in der soli­da­ri­schen Kran­ken­ver­si­che­rung grund­sätz­lich nicht ver­an­kert**.
„Öster­reich hat sehr gut aus­ge­ar­bei­te­te Impf­emp­feh­lun­gen. Die­se fin­den sich im Öster­rei­chi­schen Impf­plan. Natio­na­le Impf­zie­le, bei­spiels­wei­se Durch­imp­fungs­ra­ten für bestimm­te Imp­fun­gen, gibt es lei­der nicht“, sagt Renée Gal­lo-Dani­el, Prä­si­den­tin des ÖVIH. Die Impf­vor­sor­ge liegt somit in der Eigen­ver­ant­wor­tung jedes/jeder Ein­zel­nen.

Öster­rei­chi­sches Impf­we­sen als Her­aus­for­de­rung für Her­stel­ler und öffent­li­che Gesund­heit
All jene Impf­stof­fe, die im Kin­der­impf­kon­zept ent­hal­ten sind, wer­den von der öffent­li­chen Hand gekauft. Die Beschaf­fung erfolgt mit­tels Aus­schrei­bung, was für die Her­stel­ler eini­ge Her­aus­for­de­run­gen mit sich bringt. „Das führt unter ande­rem dazu, dass immer nur ein Impf­stoff zur Ver­fü­gung steht. Gibt es einen Lie­fer­eng­pass, kommt es zu Pro­ble­men“, erläu­tert ÖVIH-Vize­prä­si­den­tin Sig­rid Has­lin­ger.
Gar kei­ne Bedarfs­pla­nung auf Her­stel­ler­sei­te ist für jene Impf­stof­fe mög­lich, die die Öster­rei­che­rIn­nen selbst bezah­len müs­sen. Es gibt für die ent­spre­chen­den Imp­fun­gen weder Kam­pa­gnen der öffent­li­chen Hand noch defi­nier­te Impf­zie­le. „Die Kon­se­quenz ist, dass die Durch­imp­fungs­ra­ten – wie zum Bei­spiel bei Influ­en­za – zu den schlech­tes­ten in Euro­pa gehö­ren“, so Has­lin­ger. „Auch die benö­tig­te Impf­stoff­men­ge ist völ­lig unklar. Die Men­gen­pla­nung beruht aus­schließ­lich auf der Selbst­ein­schät­zung der Her­stel­ler.“ Das bedeu­te, dass die vor­han­de­ne Men­ge manch­mal nicht aus­rei­che oder, dass ein Her­stel­ler im umge­kehr­ten Fall auf nicht ver­wen­de­ten Impf­stof­fen „sit­zen­blie­be“. Ver­bes­se­rungs­be­darf gibt es also sowohl für die Ver­sor­gung der Bevöl­ke­rung als auch für die her­stel­len­de Indus­trie.

Öko­no­mi­sche Daten unter­strei­chen die Sinn­haf­tig­keit von Imp­fun­gen für das Gesund­heits­we­sen
Wie vor­teil­haft zusätz­li­che Invest­ments sowohl finan­zi­el­ler als auch poli­tisch-orga­ni­sa­to­ri­scher Art in das Impf­we­sen wären, zei­gen fol­gen­de öko­no­mi­sche Eva­lu­ie­run­gen aus Öster­reich: An Influ­en­za erkran­ken jähr­lich 720.000 Per­so­nen in Öster­reich, 76.900 davon auch an Kom­pli­ka­tio­nen. 2.500 Men­schen ster­ben. Die Kos­ten für das Gesund­heits­sys­tem betra­gen rund 41 Mil­lio­nen Euro, die Wirt­schaft ver­liert durch Kran­ken­stän­de 496 Mil­lio­nen Euro. „Den­noch liegt die Durch­imp­fungs­ra­te unter 10 Pro­zent“, zeigt sich Has­lin­ger ent­setzt. Mit einer Durch­imp­fungs­ra­te von 50 Pro­zent könn­te man jedoch den Berech­nun­gen zufol­ge über einen Zeit­raum von fünf Jah­ren fast 1,9 Mil­lio­nen Krank­heits­fäl­le ver­hin­dern. Anders aus­ge­drückt: Jeder (der­zeit pri­vat) in die Imp­fung inves­tier­te Euro erspart dem Gesund­heits­we­sen drei Euro und der Gesell­schaft sogar 27 Euro. Noch schlech­ter als bei der Influ­en­za ist die Erwach­se­nen-Durch­imp­fungs­ra­te bei der Pneu­mo­kok­ken­imp­fung (der­zeit geschätz­te sechs Pro­zent). Das führt dazu, dass jähr­lich 27 Mil­lio­nen Euro für die Behand­lung von Pneu­mo­kok­ken-Erkran­kun­gen auf­ge­wen­det wer­den müs­sen. Durch die ent­ste­hen­den Kran­ken­stän­de ver­liert die Wirt­schaft rund 10 Mil­lio­nen Euro. Eine Erhö­hung der Durch­imp­fungs­ra­te um 5 Pro­zent wür­de 570 Erkran­kun­gen mit all ihren Fol­ge­kos­ten ver­hin­dern. „Sogar die HPV-Imp­fung, die mitt­ler­wei­le im Kin­der­impf­kon­zept ver­an­kert ist, macht öko­no­misch Sinn“, betont Has­lin­ger. „Ein für die HPV-Imp­fung aus­ge­ge­be­ner Euro erspart dem Gesund­heits­we­sen näm­lich zwei und der Gesell­schaft 10 Euro.“

Ein­deu­ti­ge Fak­ten­la­ge zuguns­ten von Imp­fun­gen
„Imp­fun­gen gehö­ren zu den effek­tivs­ten Maß­nah­men über­haupt, um Krank­hei­ten vor­zu­beu­gen und sie sind öko­no­misch sinn­voll“, fasst Gal­lo-Dani­el die aktu­el­le Daten­la­ge zusam­men. „Nur wird der­zeit zu wenig getan, um sie flä­chen­de­ckend zu eta­blie­ren.“ Um dies zu ändern, appel­lie­ren die ÖVIH-Prä­si­den­tin­nen daher an die zukünf­ti­ge Regie­rung, Imp­fen als prio­ri­tä­res The­ma ins Regie­rungs­pro­gramm auf­zu­neh­men und fol­gen­de Maß­nah­men so schnell wie mög­lich umzu­set­zen:

  1. Eta­blie­rung von Imp­fun­gen als wesent­li­che Gesund­heits­maß­nah­me für alle Alters­grup­pen (Kin­der, Erwach­se­ne und/oder Risi­ko­grup­pen)
  2. Defi­ni­ti­on von Durch­imp­fungs­ra­ten für defi­nier­te Imp­fun­gen und jähr­li­che Soll-Ist-Kon­trol­len
  3. Erstel­lung eines natio­na­len Umset­zungs­pla­nes auf Basis das öster­rei­chi­schen Impf­pla­nes
  4. Opti­mier­te Pla­nung des Impf­stoff­be­dar­fes 5. Schaf­fung eines nie­der­schwel­li­gen Zugangs zu Imp­fun­gen für Erwach­se­ne und Kin­der

Inter­na­tio­na­le Vor­bil­der zei­gen mög­li­che Wege auf
Wäh­rend es für die ers­ten vier Punk­te haupt­säch­lich den poli­ti­schen Wil­len für die Durch­set­zung braucht, ist für den nie­der­schwel­li­gen Zugang auch eine gewis­se Krea­ti­vi­tät gefragt, um die Bevöl­ke­rung auch tat­säch­lich zu errei­chen.

  • Mobi­les Impf­pro­gramm in Schwe­den: Seit 2004 wer­den FSME-Imp­fun­gen auch in spe­zi­el­len Bus­sen, Boo­ten, Zel­ten, bei Events oder in Fir­men durch­ge­führt. Die­se Art der Imp­fun­gen schafft beson­de­re Auf­merk­sam­keit in der Bevöl­ke­rung und führt zu stei­gen­den Durch­imp­fungs­ra­ten, beson­ders in Hoch­ri­si­ko­ge­bie­ten. 2018 wur­den 15 Pro­zent aller FSME-Imp­fun­gen in Schwe­den mobil durch­ge­führt.
  • Apo­the­ken-Imp­fun­gen in Por­tu­gal mit elek­tro­ni­schem Impf­re­gis­ter: Seit 2018 brau­chen Pati­en­tIn­nen kei­ne Ver­schrei­bung mehr für den Influ­en­za-Impf­stoff. Das Imp­fen selbst ist kos­ten­frei. Die Impf­da­ten aus der Apo­the­ke wer­den auto­ma­tisch ins elek­tro­ni­sche Impf­re­gis­ter über­nom­men. Ers­te Ergeb­nis­se zei­gen, dass die Durch­imp­fungs­ra­te in den teil­neh­men­den Gemein­den um knapp 32 Pro­zent gestie­gen ist. Auch in ande­ren EU-Län­dern wird erfolg­reich in der Apo­the­ke geimpft, unter ande­rem gegen FSME und Hepa­ti­tis.
  • Uni­ver­sel­les Influ­en­za-Impf­pro­gramm Onta­rio (Kana­da): Im Jahr 2000 wur­de in Onta­rio von einer ziel­grup­pen­spe­zi­fi­schen auf eine uni­ver­sel­le Imp­fung für alle Per­so­nen über sechs Mona­te umge­stellt. Die Imp­fung wird für die Bevöl­ke­rung gra­tis bei Pri­ma­ry Care-Anbie­tern, Apo­the­ken und wei­te­ren Zen­tren wie Alters­hei­men, Unter­neh­men, Spi­tä­lern oder Gemein­de­zen­tren ange­bo­ten. Bereits nach vier Sai­so­nen haben sich die Influ­en­za-asso­zi­ier­ten Krank­heits­aus­wir­kun­gen auf etwa die Hälf­te redu­ziert.
  • Natio­nal Flu Immu­ni­sa­ti­on Pro­gram Eng­land: In Eng­land exis­tiert ein natio­na­les IT-Sys­tem für Haus­ärz­te, aus dem wöchent­lich die aktu­el­len Durch­imp­fungs­ra­ten abge­ru­fen wer­den. Zusätz­lich wer­den alle Infor­ma­ti­ons­ma­te­ria­li­en von der öffent­li­chen Hand zur Ver­fü­gung gestellt — inklu­si­ve Ein­la­dungs­brie­fe für Pati­en­ten und Check­lis­ten für Haus­ärz­te. Die Imp­fung ist für Risi­ko­grup­pen gra­tis. Zusätz­lich gibt es finan­zi­el­le Impf-Incen­ti­ves für Haus­ärz­te (auch für ande­re Imp­fun­gen). Ergeb­nis: Die Durch­imp­fungs­ra­te bei Influ­en­za liegt in Eng­land nur knapp unter den von der WHO und der EU gefor­der­ten 75 Pro­zent.
  • Impf­auf­klä­rung durch die öffent­li­che Hand in Aus­tra­li­en: Jede nur erdenk­li­che Fra­ge wird online umfas­send und völ­lig trans­pa­rent beant­wor­tet. Alle ver­ab­reich­ten Imp­fun­gen wer­den in einem natio­na­len Impf­re­gis­ter doku­men­tiert, in dem man auch sei­nen eige­nen Impf­sta­tus abru­fen kann. Eltern von unter 14-jäh­ri­gen erhal­ten Erin­ne­run­gen für über­fäl­li­ge Imp­fun­gen. Der aktu­el­le Stand der Ziel­er­rei­chung bei den ein­zel­nen Durch­imp­fungs­ra­ten wird der Bevöl­ke­rung offen kom­mu­ni­ziert. Mit Erfolg: Die Durch­imp­fungs­ra­te bei HPV-Imp­fun­gen in Aus­tra­li­en ist eine der höchs­ten der Welt.

Gal­lo-Dani­el: „Als Impf­stoff­in­dus­trie wür­den wir die­se und ande­re Bei­spie­le ger­ne mit der neu­en Regie­rung dis­ku­tie­ren, um gemein­sam das Impf­we­sen in Öster­reich zu ver­bes­sern und einen leich­te­ren Zugang der Bevöl­ke­rung zu Impf­stof­fen sicher­zu­stel­len.“

Refe­ren­zen:

Infor­ma­tio­nen zu zum natio­na­len Akti­ons­plan des ÖVIH https://web.oevih.at/wp-content/uploads/2019/05/OEVIH_Nationaler-Aktionsplan-Impfen.pdf

*Kofi­nan­zie­rung durch Bund, Län­der und Haupt­ver­band der Sozi­al­ver­si­che­run­gen
**Aus­nah­me FSME laut §132c ASVG und frei­wil­li­ge Zuschüs­se bei Influ­en­za und Pneu­mo­kok­ken

Rück­fra­ge­hin­weis:

Mag.a Uta Mül­ler-Car­stan­jen
FINE FACTS Health Com­mu­ni­ca­ti­on
Mobil: +43 664 515 30 40
mueller-carstanjen@finefacts.at
www.finefacts.at

Kon­takt ÖVIH:
Mag.a Renée Gal­lo-Dani­el
Prä­si­den­tin des Öster­rei­chi­schen Ver­ban­des der Impf­stoff­her­stel­ler
Mobil: +43 664 544 62 90
r.gallo-daniel@web.oevih.at
www.oevih.at